Neulich nach der Kita. Ich hetzte mit unserer Tochter im Affenzahn durch den „Rewe“ in der Ackerhalle, als wir an der Auslage des großen Hamburger Kaffeerösters vorbeikamen. Ich war mir sicher, dass es dort jetzt im Oktober schon wieder die HomeOffice-Outfits gibt, mit denen sich viele eine Zeit lang eingedeckt haben. Kuschel-Hosen, Sweatshirts und Stoppersocken in gedeckten Farben. „Comfi-Wear“, Klamotten also, die bequem sind und einen nicht in den Bauch kneifen, wenn man am Rechner sitzt, aber gleichzeitig so langweilig, dass sie schon nicht mehr als Mode durchgehen. Aber das, was ich im Vorbeigehen im kleinen Büdchen des Kaffeerösters sah, war nur Sportzeug. Trinkflaschen, Laufleggins, Stretch-Bänder… Alles sinnvolles Zeug, dachte ich zufrieden. Dagegen sprach nun wirklich nichts.
Vielleicht ist der Trend „Gemütliche Homeoffice-Klamotte, in der ich mich aus dem Bett direkt an den Schreibtisch schwinge, ohne dass es jemand mitbekommt“, ja auch längst durch. Ich hab ihn ausgelassen. Aber ich bin modisch auch kein Maßstab. Ich lasse die allermeisten Trends aus, weil ich immer fürchte, ich könnte mit einem wahnsinnig angesagten, letzten Schrei wie, sagen wir, die „Scrunchie-Zopfbänder“, zu spät dran sein und mich damit dann auf der Torstraße oder sonstwo in Berlin komplett zum Affen machen.
„Comfi Wear“ war mir eh nie geheuer. War es nicht etwas irre, wenn Kolleg*innen, die einem im Büro jahrelang in feinen, dunklen Anzügen oder in einer dreihundertfünfzig Euro teuren Seidenbluse am Konferenztisch topseriös gegenüber saßen, sich jetzt plötzlich in einer bonbonfarbenen Sweatshirtjacke mit künstlichem Teddy-Plüsch in der Kapuze oder einem viel zu engen Longsleeve, das ja wohl verdächtig nach Ski-Unterwäsche aussah, von zuhause aus in unsere Videocalls dazuschalteten? Eben. Das war verdammt irre. Wie dankbar bin ich doch meiner Lieblingskollegin, die mich über unser privates Teams-Chatfenster ständig anpingte und mir in Großbuchstaben schrieb, ich möge doch jetzt MEINEN MUND BITTE MAL WIEDER SCHLIESSEN. Ich hatte während des Videocalls offensichtlich gerade schon wieder minutenlang fassungslos auf die Comfi-Outfits der anderen gestarrt.
Da beruhigt es doch, dass die guten Mode-Trends sich auch in Krisenzeiten nicht unterkriegen lassen. Erinnert Ihr Euch noch an die allerersten Pandemie-Wochen? Damals traf man im Supermarkt ständig Leute, die unter ihren Winterjacken noch Pyjamas trugen. DAS war mir sympathisch. Wo ich auch hinsah: überall schauten karierte oder gestreifte Flanell- und Baumwoll-Hosenbeine heraus. Und unter den weiten Pyjamabeinen waren meistens richtig gute Sneakers zu sehen. Ich war begeistert! Beim Einkaufen kam jetzt plötzlich ein ganz anderer Vibe auf. Schon nach ein paar Tagen traf sich „meine“ Pyjama-Gang wie selbstverständlich in den für uns Kreative „wichtigsten“ Regalreihen: da, wo der Kaffee seht, „Oatly“-Milch, Lakritzschnecken und Alkohol. Mehr braucht’s ja gar nicht, um zuhause auf einen pulitzerpreisverdächtigen Gedanken für den nächsten Call mit dem Chef zu kommen.
Als mich die ersten schon mit einem netten Grinsen zwischen Hafermilch und Hariboregal begrüßten, habe ich öfters überlegt, ob es nicht eine gute Idee wäre, wenn ich einfach mal meine Telefonnummer mit ein paar Leuten aus der Hipster-Pyjama-Gang tauschte. Die Jungs unter ihnen mit den strubbeligen Haaren sahen ja ausnahmslos so aus, als wären sie gerade aus dem Set der Serie „Seinfeld“ gesprungen. So richtig „New York“, einfach hinreissend. Aber das ging leider nicht: Ich war ja verheiratet.
Ich sah zwar kurz nicht ein, weshalb ich in diesen trüben Wochen auf einen sexy SMS-Austausch mit einem heißen Supermarktflirt verzichten sollte, von dem ich idealerweise (weil NOCH aufregender!) nicht einmal einen Vornamen wußte. Das sah ich auch deshalb schon nicht ein, weil mich mein eigener Partner zuhause während dieser merkwürdigen Zeit mit dem Telefon am Ohr auf seinem Trampelpfad vom Schreibtisch zum Kühlschrank und zum Klo ständig über den Haufen rannte. Die anderen vierzehn Stunden des Tages quatschte er in gebückter Haltung verdammt laut in sein aufgeklapptes Laptop hinein. So kannte ich ihn überhaupt nicht. Wenn ich also täglich etwa 120 heiße Nachrichten mit einem anderen Typen austauschen würde, könnte es doch verdammt gut sein, dass mein Mann davon überhaupt nichts mitbekäme. Oder nicht? Herrschte nicht gerade weltweit der absolute Ausnahmezustand? Ein Ausnahmezustand, der für Paare und Singles so doch auch überhaupt nicht vorgesehen war.
Als ich mich schließlich mit meinen Einkäufen in die Schlange an der Kasse einreihte, schickte ich den Satz „Musste gerade an dich denken“ an meinen Mann. Es war ein Test. Ich wollte schauen, ob er die SMS zuhause während seiner Wichtig-wichtig-Calls überhaupt liest. Sollte er nicht antworten, würde ich den guten Typen mit der Nerdbrille aus der Pyjama-Gruppe ansprechen. Aber bevor es dazu kam, schrieb mein Mann auch schon zurück. „Ich auch an dich!“, las ich. Dann erreichten mich noch ein paar rote Herzchen, das Häschen-Emoji, der Regenbogen… Alles Emojis, von denen er weiss, dass ich sie mag (auch, wenn es in Berlin ja offiziell uncool ist, Emojis zu mögen oder sie zu versenden). Ich eilte nach Hause, wo mein Mann mich nicht über den Haufen rannte, sondern schon mit einem frisch aufgebrühten Kaffee auf mich wartete. Und ab hier wurde irgendwie alles besser.
Die Animation, die ihr über diesem Beitrag seht, habe ich in den ersten Pandemietagen im Frühjahr 2020 gezeichnet. Als ich die Zeichnung heute wiederentdeckte, erinnerte ich mich an die Menschen in den Pyjamas, die diese schräge Zeit damals so viel besser gemacht haben.
Schön, dass Ihr hier wieder reinlest. Kommt gut durch die letzten Oktobertage. Ob mit Kaffee oder Alkohol. Denke, ich brauche gerade beides. ✌🏻