Das, was wir lieben

Habt Ihr „WeCrashed“ schon gesehen? Die Serie zeigt die ersten Geschäfts- und Ehejahre von Adam und Rebekah Neumann. Das Paar gründete mit einem Partner im Jahr 2010 die Firma „WeWork“. Bis heute bietet das New Yorker Unternehmen weltweit Arbeitsplätze in CoWorking-Spaces. Die Geschäftsidee war damals noch neu, aber es waren in den frühen 2000er-Jahren auch andere schon darauf gekommen. Das Neue an „WeWork“: Adam und Rebekah schufen um „ihre“ CoWorking-Spaces einen absoluten Kult. Sie versprachen den Mietern nicht nur günstige Büroplätze mit WiFi, Teeküche, Tischkicker und wöchentlichen Parties, auf denen irre viel Alkohol ausgeschenkt wurde, sondern ein ganz anderes Leben. „Vergesst die popeligen Schreibtische, an denen ihr bei uns sitzen werdet“, betonen die Neumanns gegenüber Mitarbeitern und Mietinteressenten in der Netflix-Serie immer wieder. „Um die geht’s doch gar nicht.“ Es ginge den Neumanns darum, nicht nur Räume anzubieten, sondern Menschen an einem Ort zusammen zu bringen, sie glücklich zu machen. Gründer Adam ist in einem Kibbuz in Israel aufgewachsen. Das Kibbuz-Gefühl, das großen „Wir“, sollten seine Mieter*innen auch in den CoWorking-Spaces erleben können.

Als ich einer Freundin erzählte, dass B. und ich alle acht Folgen der Serie in wenigen Abenden hintereinander weggeschaut hatten, winkte sie gleich ab: „Ich bin nach der zweiten Folge ausgestiegen, war mir einfach zu drüber.“

Konnte ich verstehen. Die Serie ist komplett „drüber“. Gleichzeitig faszinierte mich gerade das Übergeschnappte, das „Drübersein“ an der Serie. Das Ehepaar Neumann handelt in der TV-Show irgendwann dermaßen irre, dass ich gar nicht anders konnte, als mit offenem Mund auf den Fernseher zu starren, während Anne Hathaway (als wirklich brilliant-spleenige Ex-Yogalehrerin Rebekah) ihrem Film-Ehemann Adam (aka Jared Leto, mindestens ebenso brilliant) immer wieder den Rücken stärkte. „Let’s manifest!“ ruft Rebekah immer dann, wenn Adam sich kurz nicht mehr sicher ist, ob die Firma, die auf ihrem absoluten Höhepunkt im Frühjahr 2019 auf 47-Billionen-Dollar geschätzt wurde, nicht doch jede Sekunde zur Seite wegklappen könnte. In sich zusammenfallen wie eine Hüpfburg, prall aufgeblasen mit heißer Luft, der man nach einem richtig guten Kindergeburtstag spätabends ja doch irgendwann mal den Stöpsel ziehen muss.

„Let’s manifest, Adam…“ In den überraschend seltenen Schwächel-Momenten des Gründers umarmt Rebekah ihren Adam einfach. Sie glaubt fest an die Kraft des Manifestierens. Daran, sich Dinge so sehr vorzustellen und zu wünschen, dass sie eines Tages wahr werden. Und schafft es laut Drehbuch der Serie auch tatsächlich, ihren Mann immer wieder für den nächsten, garantiert noch ein wenig größenwahnsinnigeren Ableger von WeWork in Form zu pimpen.

Ist das noch Guru? Oder wirklich schon ein wenig irre? Es stellt sich jedenfalls sofort die Frage, weshalb anderswo eigentlich noch haufenweise Geld für Koks, Upper oder vergleichbar aufputschende Drogen ausgegeben wird, wenn’s doch auch das Neumann’sche Manifestieren tut. Wie das geht? Rebekah hält die Hände ihres Mannes, sie schließen die Augen und bestellen sich gemeinsam vom Universum das, was eben gerade so gebraucht wird: eine weitere Business-Idee, mehr Kapital, noch mehr Kapital, einen besseren Investor, eine eigene Schule („The school of live“), irgendwann die Sonne (worauf sie nach Californien ziehen)…. Wenn Dir etwas nicht gelingt, dann glaubst Du wohl auch nicht richtig daran. So scheinen es die Neumanns jedenfalls zu sehen. Oder, auch das könnte möglich sein: Es gelingt dir nur deshalb nicht, deinen Traum umzusetzen, weil er dich im Herzen nicht glücklich macht. So könne es ja nichts werden (mit der Rückendeckung aus dem Universum).

„Do what you love.“ Das Mantra der 2010er-Jahre. Damals noch so neu, dass „WeWork“-Gründer Adam Neumann auch im „richtigen“ Leben ständig mit einem T-Shirt auftrat, das mit diesem Satz bedruckt war. Damals beschrieb der Spruch noch einen revolutionär neuen Ansatz, um über Arbeit nachzudenken. Arbeit musste nicht nerven. Man musste sich am Sonntag abend nicht mehr vor dem Montag gruseln, an dem der Trott im Büro wieder losging. Dies setzte aber eben voraus, das man das tat, was einen glücklich machte.

Heute ist der Satz etwas abgegriffen. Wir haben ihn auf zu vielen Pinterest-Boards gesehen, auf Grußkarten und in Instagram-Feeds. In schnörkeliger Handschrift, die Typo oft etwas schräg gestellt, „Love“ immer großgeschrieben. Ich bin mir sicher, dass Adam Neumann das T-Shirt heute so nicht mehr tragen würde. Selbst, wenn die Message ja eigentlich noch stimmt.

Anders als in den meisten Firmen, wo das Ende der Arbeitswoche heute noch erleichtert mit einer „Thank God It’s Friday“-Party gefeiert wird, stiegen bei „WeWork“ die Parties übrigens gerade nicht freitags, sondern schon gleich am Montag. „Thank God, it’s Monday!“, brüllt Adam Neumann in der Serie entsprechend aufgehyped in die Bierfontäne hinein, die sich über seine Mitarbeiter ergiesst. Endlich wieder loslegen, Leute. Vergeßt das Wochenende! Ist das nicht eh nur für Luschen?

Wir hatten alle 8 Folgen durchgeschaut, als B. die Fernbedienung schließlich beiseite legte und ich noch einmal in das Chips-Schälchen griff. Nachdenklich schauten wir auf den schwarzen Bildschirm. Taten wir das, was wir liebten? Meistens wohl schon.

. . .

(Die 8-teilige Serie „WeCrashed“ wird auf Netflix ausgestrahlt. – Dieser Beitrag auf dem Blog ist weder von Netflix gesponsert noch wird er anderweitig unterstützt. Der Inhalt des Blogs unterliegt der künstlerischen Freiheit der Autorin.)