Neues aus dem Home-Office

Die schönste Nachricht aus dem Homeoffice erreichte mich über meinen guten Freund Alex.
„Heute morgen um neun hatte ich einen Video-Call mit meinem Team. Rate mal, in welchem Aufzug sich eine Kollegin dazuschaltete?“ Ich kam nicht drauf. „Sie saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und trug ein verwaschenes Motto-T-Shirt zu einer verschlissenen Pyjama-Hose“, sagte er fassungslos.
„Na und?“ Ich war beeindruckt. „Ist doch ziemlich lässig, oder nicht?“ Alex sah das anders. „Geht so. Ihre Haare waren definitiv nicht gekämmt. Die standen total Out-Of-Bed-mäßig und wirr in alle Himmelsrichtungen ab.“ Ich schmunzelte. Die Geschichte wurde ja immer besser. „Wahrscheinlich war sie eine Minute vor dem Call aufgewacht“, überlegte ich. „Und deshalb hatte die Kollegin doch wahrscheinlich gar keine andere Wahl, als sich schnell dazuzuschalten?“ Alex zögerte. „Kann schon sein“, räumte er dann ein. „Aber in so einem Fall würd‘ ich mir doch wenigstens ein halbwegs seriöses Sweatshirt überwerfen und mich schnell aufs Sofa rübersetzen.“
„Kann es sein, dass sie gar kein Sofa hat? Hey, vielleicht lebt sie ja in einer WG?“ Darüber musste Alex jetzt erstmal nachdenken. „Sie ist noch unter dreißig. Klar, das könnte natürlich sein….“ Im Hintergrund gurgelte jetzt ein Espresso-Kocher, der gerade in Alex ultraschicker Single-Küche aufzukochen schien. „Trotzdem. Ihr müsste doch vollkommen klar sein, was ein solcher Aufzug für ein Signal auf mich als Ihren Vorgesetzten sendet.“ Alex klapperte kurz mit Porzellan herum. „Ich meine, die scheint mich ja gar nicht voll zu nehmen.“
„Aber sowas von  nicht…“, lachte ich. Dann tat mir Alex leid. „Ach, was. Ich würde den Vorfall nicht überbewerten. Ich mag an den Millenials ja, dass sie die angelsächsische Führungskultur, die in den meisten Firmen ja doch noch unterschwellig durchgezogen wird, obwohl bei jeder Team-Offsite das Gegenteil behauptet wird, einfach null Ernst nehmen.“
„Also, bei uns im Büro ist tatsächlich schon alles längst total agil und scrum und Zoom und Slack…“, verteidigte Alex sich. In der Telefonleitung sirrte jetzt ein Hand-Milchschäumer auf. „Weißt Du, das Neuste ist ja, dass einige aus meinem Team sich jetzt ständig für zweieinhalb Stunden lang in die Mittagspause verabschieden. Rate mal, wo die so lange sind?“
„Schnitzelessen im Borchardts?“
„Das dauert doch keine zweieinhalb Stunden“, sagte er. „Nein, nein, die mieten sich einen MINI und knattern zusammen an den KuDamm, um sich erstmal in aller Ruhe neue Sneakers zu holen.“
Ich musste lachen. „Kann doch sein, dass die einfach noch ein paar Überstunden abzubummeln hatten?“
„Hatten die nicht“, widersprach Alex mir. „Und das sind dann dieselben Gestalten, die sich in den brandneuen Hipster-Puschen ab 15 Uhr am Tischkicker das erste Bier aufmachen oder sich für den Rest des Tages in die Chill-Area werfen, um Playstation zu daddeln.“ Jetzt lachte auch Alex. „Und weißt Du was, im Zielvereinbarungsgespräch kann ich sowas noch nicht mal ansatzweise ansprechen.“
„Weshalb denn das nicht?“
„Weil Kritik bei uns im Team nur noch in anonymen 360-Grad-Votings ausgeübt werden soll.“ Das musste Alex mir jetzt erklären. „Wie, das kennst Du nicht?“ Ich hörte ihn an seinem Kaffee schlürfen. „Also, es ist ganz einfach: alle loggen sich über ihre Rechner in ein Umfrageforumlar ein und behaupten dann anonym, dass sie permanent ausgebeutet werden oder du als ihr Chef eine komplette Voll-Niete bist, die möglichst schnell abgesägt werden sollte.“
„Moment!“ Darüber hatte ich mal ein Buch gelesen. „War doch Google, die das 360-Grad-Voting mal eingeführt haben, richtig? Ich hatte gelesen, dass die geheimen Abstimmungen total fair sind. Und dass Mitarbeiter einen ja generell auch nicht immer auf Teufelkommraus absägen wollen.“
„Also, ich hab‘ da leider ganz andere Erfahrungen“, sagte Alex trocken. In seiner Leitung piepste es. „Ups, das ist mein Timer. Tut mir leid, aber ich muss in zwei Minuten in einen Video-Call mit einer wichtigen Kundin“, erklärte er mir jetzt etwas gehetzt.
„Ist die Pyjama-Kollegin wieder dabei?“, fragte ich schnell. „Ist sie!“, bestätigte er. „Ich hoff‘ nur, die hat sich inzwischen mal geduscht und was anderes übergeworfen. Hatte ja immerhin zwei Stunden Zeit.“
„Und wenn nicht?“
„Na, dann hält uns die Kundin, die bei einer großen Bank arbeitet und dort übrigens den Marketing-Etat für ganz Europa managed, wahrscheinlich für die unprofessionellste Schrott-Bude aller Zeiten.“
„Meinst du, die kündigen Euch dann den Agentur-Retainer?“
„Könnte gut sein“, sagte er nachdenklich. „Dann müssten wir die Agentur zwar erstmal verkleinern, aber das würde für ein paar Mitarbeiter dann wohl auch erstmal das Ende dieser zweieinhalbstündigen Shopping-Touren in den Nike-Store bedeuten.“
Ich lachte. „Wenn nach der Corona-Phase alles an die Wand fährt, gründen wir einfach was Neues! Los, sag ‚ja!’“
„Wäre auf jeden Fall dabei!“ Alex klang tatsächlich ziemlich begeistert. „Und dann bitte mal wieder eine Firma ohne Tischkicker und Playstation. Wir sind doch keine Vierzehn mehr.“
„Oder einfach mal umgekehrt!“, schlug ich vor. „Wir ballern die Räume einfach total ironisch zu mit Tischkickern, Playstations, Skate-Ramp, vollverglasten Getränke-Kühlschränken, Filterkaffeemaschinen im Siebziger-Look und agentureigenem Burgergrill.“ Ich überlegte kurz. „Ach, ja, in den Eingangsbereich und in jedes einzelne Zimmer würd‘ ich gern tischtennisplattengroße Flatscreens schrauben lassen, auf denen alle „Star Wars“-Folgen in Dauerschleife gezeigt werden.“
Alex war kurz baff. „Und was machen wir, wenn Kunden auf einen Termin bei uns in der Agentur bestehen? Das müssen wir ja wohl unbedingt verhindern…“ Er hörte sich nicht gerade überzeugt an. „Im Ernst jetzt. Wie soll man denn bei einer Besprechung in einem Konfi, in dem doch nur noch ein paar zusammengeknüllte Simpsons-Boxershorts auf dem Fußboden fehlen, vor den Kunden rechtfertigen, dass man auf der nächsten Rechnung bitte erstmal schlappe 500.000 Euro für die strategische Neuentwicklung ihres Twitter-Accounts abkassieren müsste.“
„Ach, was!“, beruhigte ich ihn. „Die Kunden werden die Räume auf jeden Fall cool finden. Und einige raffen vermutlich auch gar nicht, dass wir es mit den Jugendzimmer-Gadgets vollkommen ironisch meinen.“
Alex gab sich geschlagen. „Alles klar, bin am Start.“ Dann hatte er doch noch einen Einwand. „Weitere Mitarbeiter aber bitte nur, wenn sie uns vor Arbeitsantritt unterschreiben, dass sie sich nicht im Schlafanzug in die Video-Schalte einwählen. Ich ertrag’s einfach nicht, ist mir way too much. Los, versprich’s!“
„Ist hiermit versprochen“, sagte ich feierlich. Und damit legten wir auf.


(Animation: Studio Petersen)