Zerschlissene Leggins

Neulich dachte ich mir, ich versuch’s mal wieder mit Yoga. Ich fuhr in ein angesagtes Studio in Mitte, betrat die Umkleide und stieg in eine so richtig verwaschene American Apparel-Leggins. Ich weiß, dass es längst an der Zeit wäre, die Dinger wegzutun. Aber seit der Pleite der amerikanischen Hipster-Kette kann ich mich leider aus einfach nicht von den Stretch-Leggins trennen. B ist darüber immer wieder fassungslos.

Die Gespräche über die Leggins laufen zwischen uns mittlerweile nach einem vollkommen festgefahrenen Schema ab:

Er: “Du hast doch so schöne Hosen im Schrank, mein Liebling…” (starrt auf die an den Knien furchtbar ausgebeulten Leggins, die ich trage)
Ich: “Die hab’ ich mir halt mal in New York gekauft.”
Er: “Wann? 1995?!”
Ich: “Selbstverständlich nicht!”
Er (schiebt sich an der offenen Kühlschranktür eine Scheibe Salami in den Mund): “Ich will  ja nichts sagen, aber Du müsstest Dich in den Dingern mal von hinten sehen. Da sind die nämlich schon ganz schön durchsichtig (schmatz, schmatz).
Ich (leicht angefasst): “Ich bin dann jetzt mal für ein paar Stunden weg.”(Haustür fällt mit einem unfassbar lautem Knall ins Schloß.)

Nicht, dass mich diese Diskussionen unter Druck setzen würden.  Gleichzeitig fürchte ich, dass man es mit dem Herumgeschlumpfe in der Wohnung vielleicht nicht unbedingt übertreiben sollte, wenn man in einer festen Beziehung lebt oder miteinander verheiratet ist.

Der Mensch, der  jeden Morgen neben einem aufwacht, ist ja keine WG-Mitbewohnerin. Es macht also weder Sinn, ihn anzuherrschen, wenn er in seiner Ich-bin-Manager-und-Ach-Du-meine-Güte-hab-ichs-mal-wieder-eilig-Art alle meine weißen T-Shirts zusammen mit einer brandneuen, schwarzen Jeans, die er sich gerade gekauft hat, in eine Waschmaschine steckt und eine 60-Grad-Wäsche anstellt. Das habe ich schon mal versucht. Hat nichts gebracht.

Gleichzeitig muss er aber auch nicht unbedingt wissen, wie sehr ich es liebe, mich, sobald er hektisch, hektisch auf einen Businesstrip abreist, mit einer unsexy Seesand-Mandel-Maske im Gesicht, einer Staffel  “Entourage”, einer Maxi-Tüte Schokobons und einer abgewetzten Tigerenten-Wärmflasche unter die Bettdecke zu verziehen.

Eine WG-Mitbewohnerin würde das alles sicher für eine Weile verkraften, wenn man ihr ab und zu mal eine Flasche Wein und ein schweineteures, gut riechendes Beautyprodukt spendiert. Eine Ehe wahrscheinlich nicht. Ich habe jedenfalls schon von Ehen gehört, die aufgrund von weitaus harmloseren Nachlässigkeiten in die Brüche gingen.

Könnte nämlich gut sein, dass ich mir von B. irgendwann einmal im Beisein eines chronisch zugekoksten Scheidungsanwalts anhören muss, ich hätte ihm gegenüber kein Interesse mehr gezeigt. Und deshalb sei B. in seiner Verzweiflung ja quasi dazu gezwungen worden, sich in die Arme und das Ikea-Bett einer 10 Jahre jüngeren und extrem heiß aufgestylten Schnalle zu werfen, die wahrscheinlich Bibi heißt und sich gerade einen Glitzerdiamanten-Sticker auf den Eckzahn hat kleben lassen, weil sie das “irgendwie witzig” fand.

Ich könnte bei diesem Anwaltstermin dann erwähnen, dass sich eine gewisse Person bei uns zuhause abends und am Wochenende ja bereits seit Jahren in ausgebeulten Jogginghosen auf die Couch wirft, die englische Premier League streamt und sich parallel mit seinen Kumpels über WhatsApp blödelige Kommentare zum Spiel austauscht, während ich allein im Nebenzimmer sitze, Käsecracker esse, ein frühes Werk von Martin Walser lese und vergebens auf ein angeregtes Gespräch warte.

Aber solche Überlegungen behält man bei einem Termin mit dem Scheidungsanwalt vielleicht besser für sich, dachte ich, als ich mir im Yogastudio meinen dicken Wollpulli auszog und die superelektrisch in alle Himmelsrichtungen abstehenden Haare wieder in ein Zopfgummi zurückzwängte.

Ich sah mich um und stellte erleichtert fest, dass auch die anderen Mädels sich scheinbar nicht groß Gedanken über ihr Outfit gemacht hatten. Als alle die Umkleide verließen, folgte ich ihnen in einen dezent nach Räucherstäbchen duftenden Raum.

“Hi!”, sagte die Yoga-Lehrerin, die kurz nach uns durch die Tür schlüpfte. Sie war nicht besonders groß, trug ihr dunkelblondes, langes Haar offen und stellte sich im Vorbeigehen supernett mit “Ich bin Bettina. Wie geht’s Euch allen denn heute so?” vor.

Während Bettina eine CD in die Anlage schob und ein schmusiger Folksänger damit begann, ganz herzzerreißend über die unerwiderte Liebe zu einer längst anderweitig vergebenen Surfer-Braut zu singen, musste ich mich zusammenreißen, um nicht unentwegt auf Bettinas Outfit zu starren: Sie trug eine schicke, schwarz-beige-braun gemusterte Leoparden-Leggins und ein schwarzes, extraweites Sweatshirt, das mit einem dezenten Totenkopf bedruckt war. Quer über dem verwaschenen Schädel las ich in einer punkigen Handschrift das Wort “Namasté”.

Die Klamotten, die sie trug, standen Bettina super. Sie waren lässig und wirkten, als wären sie von einem ehemaligen Super-Model entworfen worden, das mit 52 noch aussieht wie 28 und sich mit Verkäufen aus einer Yoga-Kollektion morgens vor dem Frühstück wahrscheinlich schon wieder ein kleines Vermögen dazuverdient.

Bettina drehte den Schmusesänger noch ein wenig lauter. Dann trabte sie mit kleinen Hüpfern auf ihre Matte. Wir falteten unsere Hände vors Herz und begannen, auf Bettinas Kommando in tiefen Zügen ein- und auszuatmen. Unauffällig starrte ich noch ein paar Sekunden auf ihre Leoparden-Leggins. Dann schloß auch ich die Augen. Mein Atem beruhigte sich. Und ich kam tatsächlich ein bißchen runter.

Als wir fertig waren, zog ich mich um, stieg aufs Rad und beschloß auf dem Heimweg, dass es jetzt vielleicht doch an der Zeit war, etwas zu ändern. Konnte es sein, dass es mir beim Yoga tatsächlich gelungen war, so etwas wie eine tief sitzende Blockade wegzuatmen? Ich öffnete die Tür zum Hof und rollte mit meinem Rad direkt vor die Mülltonnen. Dort riß ich die Sporttasche auf und stopfte die verschlissene American-Apparel-Leggins in die schwarze Tonne.

Ich war schon im Treppenhaus, als ich nochmal runterging und mit meinem Handy ein Foto von den Leggins machte. Das Bild schickte ich meinem Mann. Als ich die Wohnung aufschloß, traf parallel eine Antwort ein. Ein Emoji, dass einen nach oben gestreckten Daumen zeigte.

“Wollen wir am Samstag abend mal wieder ausgehen?” textete ich ihm. “Nur wir zwei?” (Nicht, dass ich mir im Büro des Scheidungsanwalts tatsächlich mal vorwerfen lassen muss, ich hätte mich immer nur von Käsecräckern ernährt.)

Mein Mann antwortete sofort mit einem großen, roten Herz. Ich schickte ihm den kleinen, braun-weiß gefleckten Hund, der seine Zunge rausstreckt, weil mein Mann IMMER grinsen muss, wenn man ihm diesen Hund zuschickt. Dann legte ich das Handy zur Seite und begann im Netz mit einer absurd zeitintensiven Recherche nach der perfekten Leoprint-Leggins. So einer, wie Bettina sie trägt.